Feinfühlige Mama. Feinfühliges Kind.

Feinfühlige Mama. Feinfühliges Kind.

Du ißt jetzt kein Fleisch mehr. Das Tierleid geht dir zu nah. Dein Entschluss steht fest.
Du orientierst dich an jüngeren Kindern. Stehst ein für die Schwachen. Hältst dich raus aus Streitereien. 
Du bist gerne zu Hause. 
Du hast wenige, aber enge Freundschaften. 
Du teilst überschwänglich Liebe aus, bist ein richtiger Charmeure. 
Du bist so ehrgeizig, aber leider auch schnell entmutigt. Glaubst noch nicht an deine Stärke. Manchmal schaust du verträumt und nachdenklich und es wirkt, als wenn die Last der Welt auf deinen Schultern liegt. Du bist so wunderschön und stark, ich platze vor Liebe und Stolz deine Mama sein zu dürfen.

Doch da ist noch diese andere Seite an dir. Wenn du dich unwohl fühlst, sehe ich es dir sofort an. Verkrampfst deine Gesichtsmuskeln. Kopf und Schultern hängen herunter. Ich frage dich, was los ist, obwohl ich schon weiß, dass du jetzt keine Worte findest. Ich überlege fieberhaft, was passiert ist: Ein falscher Blick, eine unbedachte Aussage, zu viel Aufmerksamkeit für deine Schwester…? Alles könnte Anlass für den folgenden Gefühlsausbruch sein. Mittlerweile weiß ich, dass das zu dir gehört. Ich weiß, dass ich erst mal aushalten muss. Versuche nicht mit den Augen zu rollen und vermeide Sätze, die mir auf der Zunge liegen, wie „ist doch nicht so schlimm..“. Für dich ist es jetzt gerade schlimm. Ich weiß aus Erfahrung, in diesen Momenten hilft oft nur: aushalten, versichern, bestätigen, mitfühlen. Kann ich das immer? Nein. Es gab einige Situationen wo ich es nicht konnte. Wo meine eigene Wut mich nicht die Mama sein ließ, die ich gerne gewesen wäre. Es gab Situationen wo ich von mir selbst, und der Heftigkeit meiner eigenen Gefühle überrascht war. Angefangen hat das erst mit meiner Mutterschaft und deinen Wutausbrüchen. Ich kam in negative Gefühlsspiralen, die ich vorher nicht von mir kannte. Und ich war teilweise nicht imstande sie zu unterdrücken, habe geschrien und geflucht wie ein Kesselflicker. Konnte mich selbst nur ganz schwer beruhigen, war hilflos im Umgang mit mir selbst. Mittlerweile bist du ruhiger und ausgeglichener geworden. Du kannst dich besser regulieren. Und ich habe verstanden. Ich weiß, dass ich mich um mich selbst kümmern muss, damit ich dich besser begleiten kann. Ich weiß, dass deine Wut, meine Wut ist, die Wut meiner Mama und die Wut ihres cholerischen Vaters und und und … Schaut man nur ein wenig in die Vergangenheit und unsere Prägung versteht man, wo Gefühle, Eigenschaften und Verhaltensweisen gründen. Man begreift, dass man ein Erbe in sich trägt, gegen das man nicht ankämpfen kann. Doch sind wir hilflose Marionetten unserer Prägung? Ich habe mittlerweile akzeptiert, dass unsere extrovertierten Gefühlsausbrüche zu uns gehören und wir sie wohl niemals ganz abschalten können. Nur meine Haltung dazu hat sich verändert. Ich denke, es ist gut, dass es raus kommt. Wir sind temperamentvoll und leidenschaftlich - positiv ausgedrückt. Aber die Auseinandersetzung mit meiner Vergangenheit und mit meinem Selbst hat im Laufe der Jahre dazu geführt, dass ich mich immer besser begleiten kann. Beim lauter werden, versuche ich trotzdem aufzupassen, was ich sage und wir schaffen es im Anschluss uns gemeinsam zu entschuldigen und zu besprechen, was, warum passiert ist und einzuordnen, was, wie gemeint war. Das ist ganz wichtig für uns geworden und bringt uns immer wieder zusammen. Danke mein Schatz, dass du mich so viel über mich selbst gelehrt hast. 

Henni

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